Vermenschlichung von Tieren.
Und ein paar philosophische Gedanken...
Heute habe ich nachgedacht über einen Satz, den ich neulich irgendwo gelesen habe. Dass bei Hunden vermehrt Aggressionsprobleme auftreten würden, weil sie vermenschlicht werden. Ja was heisst das denn?! Es war von einer Hundetrainerin auf Partnerersatz, Hunde im Bett, etc. bezogen.
Doch mal ehrlich?!
Inwieweit vermenschlichen Menschen denn Hunde nicht im eigentlichen Sinne durch Geisteshaltungen wie "Hunde müssen gehorchen und sie dürfen nicht aggressiv sein"? Da fallen Sätze wie "wenn der Hund beisst, dann muss er abgetan werden". Oder "wenn er gehorcht, ist er ein guter Hund" und wenn nicht, was ist er dann? Das sind natürlich Floskeln, die oft aus der Allgemeinheit kommen. Nur - was erwarten wir denn eigentlich von unseren Tieren?!
Woher kommt es denn, dass noch so viele Menschen der festen Ansicht sind, dass ein Hund nicht knurren darf? Wie soll er sich denn sonst mitteilen, wenn ihm etwas zum Beispiel zu nahe ist oder er einfach gerade in Ruhe schlafen möchte? Wenn ich da in solche Ansichten reinfühle, dann wird alles in mir eng. Und zwar sehr eng. Das Tier muss also passen. Es muss gesellschaftsfähig sein. Ansonsten wird es einfach weggeschafft. Auf welche Art auch immer. Da will ich gar nicht näher darauf eingehen. Es geht mir nur um das Ausmass unserer Erwartungen an Tiere und auch an uns Menschen. Was ist denn mit den Bedürfnissen von jedem einzelnen Lebewesen?
Damit meine ich natürlich nicht, dass es toll ist, wenn Hunde Aggressionen zeigen. Nur: es gibt immer einen Grund dafür, wenn Hunde Aggressionsverhalten zeigen - und meistens ist es ein guter respektive ein durchaus gerechtfertigter Grund! Und darauf sollten wir Menschen doch einfach achten.
Ich kann mich noch gut erinnern an das für mich in meiner Ausbildung zur Verhaltensmedizinerin krasseste Beispiel, welches eine Dozentin damals erzählte. Da war der liebe Familienhund, der auf einmal ein Kind der Familie mitten ins Gesicht biss und auch verletzte. Er wurde auf Platz euthanasiert. Als der Hund tot war, wurde ein Bleistift in seinem Ohr gefunden. Mehr muss ich dazu nicht sagen, oder?
Ja, ein krasses Beispiel - ich weiss. Nur wäre es so oft einfach nur sinnvoll zu hinterfragen, weswegen ein Tier Aggressionsverhalten zeigt und nicht einfach vorschnell zu urteilen, geschweige denn - wie noch so oft in der Hundeszene verbreitet - das Tier dafür zu strafen. Und ja - ein Knurren, welches die Vorstufe von weiterem Aggressionsverhalten ist, wird noch immer so oft einfach "abgestellt". In aller Regel dann auch einfach per se, in jedem Fall und bei jedem Hund gleich. Knurren gibt es einfach nicht. Der Hund hat das zu lassen. Er muss sich einfach in die Situation reinschicken, wird sonst passend gemacht.
Mein Gott, wo sind wir denn nur gelandet?
Dass ein Tier durch unsere menschlichen Erwartungen und Vorstellungen oftmals gar nicht die Gelegenheit hat ein für uns Menschen adäquates Verhalten zu zeigen, ist dann eine andere Sache. Und was wäre denn für den Hund adäquat?
So das Beispiel einer Hundebegegnung von gestern. Der entgegenkommende Hund war angespannt und aufgeregt, knurrte und die Rappeldose in der Jackentasche klapperte unmittelbar. Ja, eine im genau richtigen Moment angebrachte Strafe. Es war ein geniales Timing. So ging der Hund also in ebensolcher starrer und aufrechter Körperhaltung an uns vorbei und wurde quasi daran gehindert in sich kongruent zu kommunizieren. Kongruent im Sinne von ich kann auch ausdrücken was ich fühle. Konnte er nicht - drohen wurde ja abgestellt, näher kommen ging wegen der Leine nicht und ausweichen auch nicht.
Was sendet denn so ein Hund für den entgegenkommenden Hund aus, wenn er in seiner natürlichen Körpersprache gehindert wird?
Ich bin froh, wenn ein Hund warnt. Dann weiss ich als Mensch, dass irgendetwas für meinen Hund nicht passt. Es liegt dann an mir zu schauen, wie ich die Gesamtsituation verändern oder mein Training entsprechend anpassen kann. Aber ich klopfe ganz sicher nicht drauf, rüttle mit der Rappeldose in der Jackentasche oder rupfe an der Leine. Und nein, ich gebe auch keinen Zischlaut von mir.
Froh deswegen, weil es mir sehr viel lieber ist, wenn er warnt und nicht beisst.
Hunde die nicht warnen, sondern gleich beissen, haben ganz oft das Drohverhalten abgewöhnt bekommen oder es liegt eine körperliche Ursache zugrunde.
Fakt ist, dass Hunde, die nicht warnen per se gefährlicher sind, weil weniger einschätzbar für den Menschen. Ebenso wie Menschen, die sich ein deutliches Nein oder Stopp nicht erlauben. Nicht sagen, wenn es ihnen zu viel oder zu nahe wird und dann irgendwann explodieren. An sich nicht viel anders wie die Hunde, die gelernt haben, dass sie nicht knurren dürfen und dann im Ernstfall gleich beissen.
Ist also nicht die Tatsache, dass Menschen die Idee haben und hatten Tiere quasi passend zu machen nicht die viel krassere Vermenschlichung?!
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©med. vet. Fabienne Fust, MENSCH & TIER IM EINKLANG, www.fabiennefust.ch, November 2024.