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Vertrauensvolle Führung - ein ganzheitlicher Ansatz

 

WAS BRAUCHT ES JETZT GERADE WIRKLICH?

 

Was, wenn es deinem Kind viel grösserer Beitrag wäre zu schauen, was es jetzt gerade braucht anstelle fixer Pläne, Vorgaben und Strukturen durchzuziehen?

Dir und deinem Kind die Zeit und den Raum geben zu sein. Mit was auch immer gerade da ist. Mit allen Emotionen und Bedürfnissen. Fliessend im Jetzt sein.

Struktur UND Fliessen. Flussbeet UND Wasser. Im Gleichgewicht. Nicht entweder oder.

 

Was, wenn es überhaupt nicht darum geht, dass dein Tier jeder Situation gewachsen sein muss, sondern du es vertrauensvoll an Situationen heranführst, die es meistern kann?

Und du dich mit deinen Erwartungen und Vorstellungen dem Entwicklungsstand, sowie dem aktuellen Befinden deines Tieres einfach anpassen darfst?

 

Und du?

Bist du so nachsichtig und liebevoll mit dir selbst als dass du auch deine eigenen Vorstellungen und Ansichten über dich etwas aufweichen lassen und nicht dauerhaft so streng mit dir sein musst?

Dir die Ruhe zu gönnen, wenn dein Körper danach schreit, auch wenn du noch viel zu tun hättest?

 

So oft haben wir feste Vorstellungen und Ideen darüber wie wir selber, unsere Kinder und Tiere sein müssten. Was wir/sie alles tun und lassen sollten. Und vor lauter fixer Ideen und Konzepten kann es ganz schnell geschehen, dass wir vergessen diese den Bedürfnissen von Kindern, Tieren oder uns selbst, sowie den aktuellen Begebenheiten anzupassen.

Wie schnell pushen wir anstatt einfach damit zu sein was ist?!

Was brauchen wir - was brauchen sie denn gerade wirklich?

 

 

VERTRAUEN

 

Vertrauen war Lucys und meine Basis. Unser gegenseitige Verbundenheit basierte auf purem Vertrauen.

Das war nicht immer so.

 

Lucy war eine meiner grössten Lehrmeisterinnen. Sie hat mich durch ihre früheren Verhaltensprobleme wahnsinnig beeinflusst auf meinem Weg und mich dahin gebracht einen Grossteil meiner Ausbildungen nach dem Studium der Tiermedizin zu machen. Sie hat mir Erfahrung, Erkenntnis und Bewusstsein in so Vielem geschenkt, was heute in meinem Wirken mit Mensch & Tier wichtig ist.

 

Lucy ist bei mir geboren. Ich weiss was sie hatte als Welpe in der Aufzucht und das war sagen wir mal ziemlich optimal.

Ihre ersten 1-2 Lebensjahre verliefen leider weniger optimal. Da waren mehrere Traumatas mit Menschen (insbesondere Kindern) und Hunden entstanden. Dazu kam, dass sie wegen meiner schweren Krankheit in dieser Zeit keine stabile Führung und feste Vertrauensperson hatte. Keinen Boden unter den Füssen fassen konnte. In der Zeit ihrer Adoleszenz wäre das so wichtig gewesen.

 

Während meiner Ausbildung als Verhaltensmedizinerin hatte sie einen leichten Beissvorfall mit einem Jogger. Gerade als ich all die Dinge über Gefährlichkeit und möglichen Konsequenzen nach Beissvorfällen lernen musste. Für mein Kopf war das nicht einfach. Der hatte sich diverse Szenarien zusammen gesponnen. Ich hatte mir wahnsinnig viel Druck auferlegt.

Dann war die Geschichte mit dem fremden Hund, der in mein Rudel preschte und ich letztendlich - etwas überspitzt ausgedrückt! - neben einem Haufen raufender Hunde lag.

 

Ja, es war ein langer Weg mit Lucy. Viel Arbeit an ihren Themen und ein Weg voller innerer Arbeit für mich bis wir zwei unsere vertrauensvolle Bindung aufgebaut hatten. Bis ich sie so führen konnte, dass sie problemlos mit den äusseren Umständen klar kam. Sowohl in Bezug auf Menschen wie in Hundebegegnungen.

Wir haben es soweit geschafft, dass ich mit ihr meinen Sohn vom Kindergartenbus abholen konnte und sie sich über die Kinder freute. Und ich hätte in den letzten Jahren meine Hand ins Feuer gelegt für sie bezüglich der Kinder.

Was für ein Geschenk!

 

 

Mit Raja - die mich noch viel stärker spiegelt als Lucy - wird mir nochmal tiefer bewusst wie sehr ich Lucy mit meinen eigenen Ängsten und Unsicherheiten beeinflusst hatte. Meine eigenen traumatischen Erlebnisse durch heftige Aggressionen zwischen Hunden haben ganz schön tief gesessen!

 

Heute war da eine Hundebegegnung im Wald, bei der zwei DSH erstmal unkontrolliert auf uns zu gelaufen kamen. Zumindest sah es so aus, weil ich die dünnen Auszugleinen aus der Ferne nicht erkennen konnte. Ja, da war noch eine kurze körperliche Reaktion bei mir. Ein kurzer Moment in dem ich mich anspannte und mein Atem flacher wurde. Das war auch unmittelbar vorbei, als ich sah, dass da diese Auszugleinen noch waren.

Es war wirklich nur ein kurzer Moment und die Reaktion meines Nervensystems war viel weniger heftig als früher.

 

Raja ist in diesem kurzen Augenblick in ihrer Erregungslage hochgefahren. Auch gleich wieder runter, als ich mich unmittelbar danach wieder gefangen hatte und innerlich sofort wieder ruhig war.

Es ist total faszinierend zu sehen wie Rajas Erregungslage kongruent mit mir korreliert! Das war bei ihren Vorgängerinnen auch so. Nur ist es bei Raja gefühlt noch feiner und unmittelbarer. Sie ist echt krass.

Wenn ich mir meine körperlichen Reaktionen von früher mit Lucy jetzt bei Raja vorstelle - Halleluja!! Das wäre heftig und sie würde wohl nicht so bei sich und „bödelet“ sein wie sie es ist. Sie ist trotz ihren erst 2,5 Jahren schon sehr abgeklärt. Der Wahnsinn!

 

Erst jetzt wird mir nochmal in aller Deutlichkeit bewusst wieviel Einfluss wir Menschen gerade in den ersten Entwicklungsphasen unserer Hunde auf sie haben können. Nicht dass ich es nicht wusste. Aber das bei Raja im Vergleich zu Lucy rückblickend zu damals so zu fühlen, ist schon sehr eindrücklich.

 

Ich würde auch nicht sagen, dass meine letzten drei Lebensjahre unbelasteter waren als früher. Nein, ganz und gar nicht. Nur habe ich zwischenzeitlich einen ganz anderen Umgang mit Herausforderungen und meinen eigenen Emotionen bekommen. Ich bin selber sehr abgeklärt geworden und so in mir ruhend wie noch nie. Und dahin hat mich nebst dem Leben per se auch meine Lucy geführt. Sie hat mich in einer ganz anderen Lebensphase begleitet als Raja und mir dementsprechend auch andere Themen aufgezeigt.

 

 

SELBSTVERANTWORTUNG IN HEFTIGEN EMOTIONALEN MOMENTEN.

 

Nicht in Schuld und Verurteilung zu fallen, sondern bei sich und den eigenen Emotionen zu bleiben zeugt von wahrer Grösse.

Für mich gerade in Momenten, die gezeichnet sind von heftigen Gefühlen, eine der grössten Herausforderungen überhaupt. Und auch einer der wichtigsten Schlüssel zu innerer Freiheit und Frieden.

 

Wie einfach wäre es in Situationen von tiefem Schmerz über das Gegenüber herzuziehen. Die Schuld weg zu schieben. Die andere Person zu verurteilen.

Gegenseitiges Überstreifen von Projektionen.

Und wie weit ginge ich damit von mir selber und meinen Gefühlen weg. Wieviel Selbstverantwortung und Macht würde ich dadurch abgeben.

Für vielen Menschen der gängige Weg. War es lange auch bei mir. Kennst du das auch?

 

Und was ist der Preis? Ewig vor sich selber und den eigenen Gefühlen davon zu rennen kostet ganz schön viel Kraft. Unmengen der eigenen Lebenskraft aufzuwenden um sich selber nicht zu fühlen. Hart zu werden mit sich und anderen. Verbittert. Schlaflose Nächte. Süchte. Was auch immer es ist.

 

Für mich war und ist es ein langer Weg mein Verhalten komplett zu verändern und es ist gerade so schön zu sehen wie die letzten Jahre innerer Arbeit Früchte tragen.

Wie ich zum Einen starke Gefühle und Energien halten kann, ihnen erlaube da zu sein und sie zu fühlen. Dass die Projektionen ins Aussen dadurch ihre Notwendigkeit verlieren und ich mein Gegenüber auch immer mehr sein lassen kann. In der eigenen Verantwortung. Es braucht keine Verstrickungen mehr. Game over. Und es ist ein Weg.

 

Es gelingt mir nicht immer. Manchmal sind noch Momente da, in denen sich das Alte im ersten Augenblick noch zeigt. Vor allem wenn die Trigger sehr heftig sind oder ich ins zweifeln komme. Ich sehe es und bleibe bei mir. Ich nehme meinen Anteil an, fühle was es zu fühlen gibt und entscheide mich den neuen Weg zu wählen. Nicht die alten Muster zu bedienen. Ich brauche nicht mehr an mir selber zu zweifeln, wenn ich wirklich die Verantwortung für mein Fühlen und Handeln trage.

Und wenn es mir doch mal für einen Moment passiert, dass ich noch ins alte Fahrwasser rutsche und die Verantwortung noch ins Aussen abgebe, dann verändere ich es einfach wieder. Zwischenzeitlich fällt es mir meist sehr schnell auf.

Es ist Gold die ausgedienten Muster nicht mehr zu bedienen!

 

Spannend zu sehen rückblickend wie mir das Leben wirklich krasse Situationen um die Ohren geworfen hat. Ein grosses „Spiel- und Übungsfeld“. Wirklich. Die letzten Wochen, Monate und Jahre. Ich habe gefühlt unendlich lange Minuten und Stunden damit verbracht die ganze Scheisse IN mir zu fühlen. Zu bleiben mit dem was gerade ist und dem was aufsteigt von tief Innen, lange Jahre im Verborgenen gehalten, weil ich früher nicht damit hätte umgehen können.

 

Gerade wird mir nochmal so sehr bewusst was es heisst wirklich gut bei mir und in meiner eigenen Kraft zu stehen.

Danke Leben, dass du mich so sehr gelehrt hast und immer weiter lehrst.

Und es fühlt sich immer leichter und selbstverständlicher an. Unspektakulär. Keine grosse Sache mehr. Es geht immer mehr in Fleisch und Blut über.

Die Kreise schliessen sich.

 

Kannst du dir vorstellen wie sehr meine eigene Selbstverantwortung sich auf das Zusammenleben mit meinem Kind und meinen Tieren auswirkt?

Wie sehr auch sie mich gespiegelt und unterstützt haben an den Punkt zu gelangen, an dem ich jetzt bin?

Ja, ich hatte und habe so viele grosse und weise Weggefährten.

 

Die Führung meiner Hündin Raja beispielsweise in Hundebegegnungen ist so viel einfacher geworden als es bei Lucy für mich war. Klar ist Raja ein anderer Hund und sie hat nicht die schlechten Erfahrungen gemacht wie Lucy, nur hätte sie durchaus auch das Potential sich anders zu verhalten, als sie es tut. Sie braucht meine Führung durchaus noch.

In Momenten in denen ein anderer Hundehalter sich sagen wir mal nicht adäquat verhält, bleibe ich zwischenzeitlich mehrheitlich ruhig innerlich. Ich bemerke, dass kaum mehr Verurteilung für ein „Fehlverhalten“ in mir hoch schiesst. Was im Übrigen nicht heisst dass ich es gutheisse. Nur habe ich gelernt, dass meine eigene Wertung und Haltung zum anderen Hundehalter massiven Einfluss auf mein eigenes Fühlen und damit auf meine Hunde hat.

 

Andere Menschen und Tiere zu lieben und sie sein zu lassen mit dem was sie sind, ist ein grosses Meisterstück und braucht viel Selbstreflexion und Selbstannahme. Die ehrliche innere Bereitschaft zum eigenen Wachstum ist unabdingbar und manchmal auch ganz klare Grenzen. Für mich ein längerer, radikaler und äusserst lohnenswerter Weg, der in die wahre Freiheit führt.

DER Tanz des Lebens.

 

Was lösen meine Worte in dir aus?

 

©med. vet. Fabienne Fust, MENSCH & TIER IM GLEICHKLANG, www.fabiennefust.ch, September 2022.